1995 Hans Heinrich Hansens tale på Dybbøl den 11. juli 1995
Ansprache des Hauptvorsitzenden des Bundes Deutscher Nordschleswiger Hans-Heinrich Hansen beim dänischen Volksfest am 11. Juli 1995 auf Düppel
Ihre Majestäten, königliche Hoheiten, meine Damen und Herren!
Träume ich oder bin ich wach, werden sich manche gewiss mit den Worten Holbergs fragen, wenn ich heute als Vorsitzender der deutschen Minderheit am 75. Jahrestag der dänischen Wiedervereinigungsfeier auf Düppel an der gleichen Stelle stehe wie einst der damalige Dänenführer in Nordschleswig, H.P. Hanssen.
Es ist sowohl Traum als auch Wirklichkeit. Traum, weil sich niemand 1920 eine solche Entwicklung vorstellen konnte. Wirklichkeit, weil Deutsch und Dänisch dieses Ereignis heute als äußeres Zeichen dessen begehen können, dass wir gemeinsam zu unserer nordschleswigschen Heimat stehen.
Die Volksabstimmungen 1920 hinterließen auf beiden Seiten der Grenze Minderheiten, wo die Enttäuschung und Bitterkeit über das Abstimmungsergebnis nur schwer zu tragen war. Damals gab es Verlierer und Gewinner. Ein älterer dänischer Nordschleswiger wird deshalb den heutigen Tag mit anderen Gefühlen verbinden als ein gleichaltriger deutscher Nordschleswiger. Wir haben Respekt vor diesen Gefühlen - auch vor jenen, die heute unsere Teilnahme nicht gewünscht haben -, aber Gefühle und Vernunft sind für mich keine Gegensätze. Deshalb hat die deutsche Minderheit die Einladung angenommen, weil wir sie als Handschlag werten und zugleich als Ausdruck dessen sehen, dass aus Toleranz inzwischen gegenseitiger Respekt geworden ist.
Im historischen Rückblick war die Grenzziehung von 1920 entscheidend für die nationale Entspannung im Grenzland. Wir - Mehrheit und Minderheit - leben heute friedlich zusammen in einer bereichernden Wechselwirkung zweier Kulturen, “wo die deutsche Minderheit eine zusätzliche kulturelle Dimension für den Landesteil ist” (wie es Ihre Majestät in einer Rede 1986 in Tingleff hervorhob). Deshalb gibt es heute keine Verlierer, sondern nur Gewinner.
75 Jahre nach der Volksabstimmung können Deutsche und Dänen sich nicht damit begnügen, nur von der Geschichte zu leben, nein, wir haben gelernt, mit der Geschichte zu leben - im Guten wie im Bösen.
Was im deutsch-dänischen Grenzland erreicht worden ist, das ist das Ergebnis einer langen Entwicklung, basiert auf 150 Jahre oft bitterer historischer Erfahrungen; erst mit Kriegen und später mit anderen Mitteln nationaler Unterdrückung. In den 20er und 30er Jahren war es vor allem die Grenzrevisionsforderung der deutschen Minderheit, die vor dem Hintergrund der damaligen Abstimmungsform zu nationalen und menschlichen Spannungen führte. Die Besetzung Dänemarks durch NaziDeutschland von 1940 bis 1945 und die überwiegend nationalsozialistische Ausrichtung der Minderheit haben die Gegensätze noch verschärft. Diese Entwicklung führte zu einer ernsten Belastung des deutsch-dänischen Verhältnisses und der guten Nachbarschaft in Nordschleswig, und sie führte auch zu persönlichen Tragödien.
Die deutsche Minderheit bekennt sich zu ihrer Geschichte und damit auch zu ihrer Mitverantwortung für diese dunkle Periode. Wir haben aber bewiesen, dass wir daraus gelernt haben. Durch die Abgabe der Loyalitätserklärung an das dänische Königshaus und an den dänischen Staat und durch die Anerkennung der Staatsgrenze hat die deutsche Volksgruppe nach der Befreiung zu einem neuen, entscheidenden Kapitel zwischen Deutsch und Dänisch im Grenzland beigetragen.
Die Bonn-Kopenhagener Minderheitenerklärungen von 1955, die zu einer Art Grundgesetz des Grenzlandes wurden, haben ebenfalls wichtige Veränderungen in unserem Landesteil gebracht. Sie bahnten den Weg zur Gleichberechtigung und für ein immer besseres Verhältnis zwischen Mehrheit und Minderheit.
Große Bedeutung für die deutsche Minderheit hatte nach innen wie nach außen auch der offizielle Besuch von Königin Margrethe und Prinz Henrik 1986 bei der deutschen Volksgruppe. Den historischen Besuch Ihrer Majestätin und Ihre Rede haben wir als Aussöhnung mit der deutschen Minderheit betrachtet, die ein loyaler und völlig gleichberechtigter Bevölkerungsteil in unserem Landesteil ist.
Heute hat die deutsche Volksgruppe als Zielsetzung, selbstbewusst die deutsche Sprache, ihre besondere deutsche Kultur in Nordschleswig und ihre historische Identität zu bewahren - in einer offenen Zusammenarbeit zum kulturellen und ökonomischen Wohle des gesamten Landesteils. Unsere kulturelle, soziale, kirchliche und politische Arbeit ist unser täglicher Beitrag dazu.
In diesem Zusammenhang richten wir einen Dank an das Folketing, an die Regierung, an die Amtskommune Nordschleswig und an die Kommunen in Nordschleswig, weil wir als deutsche Minderheit heute politische und ökonomische Rahmenbedingungen haben, die uns eine weitreichende kulturelle Autonomie sichern - ungeachtet dessen, dass es noch immer ungelöste Fragen gibt.
Nach dem Fall der Mauer sind Minderheitenprobleme, die Europa verwundbar machen, wieder neu aufgetreten. Dies hat dazu geführt, dass die positiven minderheiten-politischen Erfahrungen in unserem Grenzland in zunehmendem Maße auch in internationalem Zusammenhang genutzt werden. Ihre Majestät, die Königin, hat während ihres Deutschland-Besuchs im vergangenen Jahr diese internationalen Perspektiven hervorgehoben und unterstrichen, dass die deutsch-dänische Minderheitenlösung etwas von dem Wertvollsten ist, was es in den deutsch- dänischen Beziehungen gibt.
Besser lässt sich an dieser historischen Stelle 75 Jahre nach der Volksabstimmung weder von deutscher nach von dänischer Seite diese Entwicklung nicht beschreiben!
Dieser Traum einer friedlichen Nachbarschaft in unserem Grenzland ist Wirklichkeit geworden. Lassen Sie uns gemeinsam darüber wachen, dass diese wertvollen menschlichen Relationen auch in Zukunft blühen.